Die Zerstörung der letzten intakten Waldlebensräume Europas

Abb. 1: Kahlschlagfläche in einem mitteleuropäischen Waldgebiet bei Saint-Victor-Montvianeix (Auvergne, Frankreich).
Abb. 1: Kahlschlagfläche in einem mitteleuropäischen Waldgebiet bei Saint-Victor-Montvianeix (Auvergne, Frankreich).

Zusammenhängende Urwälder, Moorwälder, Auenwälder … es sind die letzten intakten Waldlebensräume in Europa. Sie sind die Heimat für Pflanzen und Tiere, die ohne diese Habitate nicht überleben können.

 

Nun hat die Holzindustrie damit begonnen, auch noch die letzten Wälder auszuplündern und damit Ökosysteme, die in Jahrtausenden gewachsen sind, zu zerstören.

Wenn die Holzindustrie von Wald redet, meint sie wachstumsoptimierte Monokulturen, die rationell gepflanzt, durchforstet und so bald wie möglich gefällt werden. Der ökologische Wert dieser Forste liegt nahe Null – die Forstwirtschaft hat Wälder zu Produktionsstätten für Biomasse degradiert.

Abb. 2: Nach der Abholzung artenreicher Wälder werden auf den Standorten forstliche Monokulturen hergestellt.
Abb. 2: Nach der Abholzung artenreicher Wälder werden auf den Standorten forstliche Monokulturen hergestellt.

Dabei macht die Holzindustrie längst auch nicht mehr vor Natura 2000-Gebieten, Nationalparks oder anderen Naturschutzgebieten halt und plündert, oftmals unter dem Schutz von Behörden und Politik, illegal die letzten für die Natur wertvollen Wälder.

 

Beispiel Karpaten: Allein in den Jahren 2013 und 2014 haben die rumänischen Behörden 45.509 Fälle von illegalen Holzfällungen registriert [1]. Die Holzwirtschaft in Rumänien wird von ausländischen Unternehmen dominiert.

Abb. 3: Schlagflächen in den Karpaten verwandeln intakte Lebensräume in totes Land.
Abb. 3: Schlagflächen in den Karpaten verwandeln intakte Lebensräume in totes Land.

Was den Profitinteressen im Wege steht, wird systematisch beseitigt. Die gewählten Mittel reichen dabei von tatsachenfernen Gefälligkeitsgutachten und rechtswidrigen Behördenentscheidungen über Klagedrohungen gegen Naturschutzverbände oder gegen die wenigen Staaten, die wirksame Gesetze zum Schutz der Lebensräume erlassen möchten, bis hin zu Schlägertrupps [2].

 

Der Einfluss auf politische Entscheidungen wird von den Lobbyverbänden übernommen. So lehnt beispielsweise das Positionspapier des Forstindustrieverbands „FHP Österreich“ eine Ausrichtung der Förderungen auf Naturschutzmaßnahmen ab, ebenso die Ausweisung von Schutzgebieten, und fordert „die Intensivierung Zuwachs steigernder Maßnahmen“ [3].

 

Gleichzeitig gibt sich dieser Industriezweig einen grünen Anstrich: Biomasse sei gut für das Klima, Holz sei Natur und die Waldflächen in Europa nähmen zu. Diese und ähnliche Aussagen werden von den Marketingstrategen erdacht und durch sogenannte Zertifikate eine „Glaubwürdigkeit“ erzeugt.

 

Immer wieder fällt dabei das Wort „Nachhaltigkeit“, das die Forstindustrie für sich reklamiert. Unter einer nachhaltigen Waldnutzung wird heute verstanden, dass die Waldbewirtschaftung derart erfolgt, dass die biologische Vielfalt, das Regenerationsvermögen sowie die Vitalität des Waldökosystems dauerhaft erhalten wird und dabei keine anderen Ökosysteme geschädigt werden, damit unter anderem alle ökologischen Waldfunktionen erfüllt werden können [4].

 

Präsent ist aber auch der forstliche Nachhaltigkeitsbegriff, wie er von Hans Carl von Carlowitz vor mehr als 300 Jahren erstmalig definiert wurde. Die damalige Sichtweise war darauf reduziert, dass dem Wald nur die Holzmenge entnommen werden darf, die in der gleichen Zeit an Zuwachs entsteht.

 

Unter diesem eingeschränkten Blickwinkel ist eine „Nachhaltigkeit“ in den meisten europäischen Waldgebieten gegeben. Es werden dabei aber die wesentliche Funktion eines Waldes als Lebensraum für Pflanzen und Tiere sowie die Vorgabe, dass keine anderen Ökosysteme durch die Forstwirtschaft geschädigt werden dürfen, ausgeblendet.

 

Aus der zusammenfassenden Bewertung zum Zustand der Waldlebensräume der EU im Bericht nach Art. 17 der FFH-Richtlinie wird deutlich, dass sich 80 % der europaweit bewerteten Waldlebensraumtypen in einem unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand befinden [5] und daher großteils nicht von einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung ausgegangen werden kann.

 

Die Erhaltungszustände der Waldhabitate in den EU-Mitgliedsstaaten sind sehr unterschiedlich (siehe Tab. 1). Acht Staaten erreichen dabei nicht einmal bei einem Zehntel ihrer im Land vorkommenden Waldlebensraumtypen einen günstigen Erhaltungszustand: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Lettland, Niederlande, Österreich, Tschechien und Vereinigtes Königreich.

Tab. 1: Erhaltungszustände der Waldlebensräume in den EU-Mitgliedsstaaten (Stand: 2014, Angaben aus den nationalen Zusammenfassungen zum Artikel 17-Bericht für den Bewertungszeitraum 2007 bis 2012, Prozentangaben gerundet):

 

     FV = günstiger Erhaltungszustand (favourable)

     U1 = unzureichender Erhaltungszustand (unfavourable inadequate)

     U2 = schlechter Erhaltungszustand (unfavourable bad)

     XX = unbekannter Erhaltungszustand (unknown)

 

EU-Mitgliedsstaat

FV

U1

U2

XX

Belgien

0,0 %

36,8 %

63,2 %

0,0 %

Bulgarien

1,6 %

96,9 %

0,0 %

1,6 %

Dänemark

0,0 %

0,0 %

100,0 %

0,0 %

Deutschland

37,1 %

28,6 %

34,3 %

0,0 %

Estland

10,0 %

70,0 %

20,0 %

0,0 %

Finnland

23,5 %

52,9 %

23,5 %

0,0 %

Frankreich

17,7 %

50,0 %

24,2 %

8,1 %

Griechenland A

---

---

---

---

Irland

25,0 %

0,0 %

75,0 %

0,0 %

Italien

12,3 %

52,1 %

26,0 %

9,6 %

Kroatien B

---

---

---

---

Lettland

0,0 %

0,0 %

100,0 %

0,0 %

Litauen

23,1 %

46,2 %

30,8 %

0,0 %

Luxemburg

42,9 %

28,6 %

28,6 %

0,0 %

Malta

16,7 %

66,7 %

16,7 %

0,0 %

Niederlande

0,0 %

57,1 %

42,9 %

0,0 %

Österreich

8,1 %

54,1 %

35,1 %

2,7 %

Polen

28,0 %

44,0 %

28,0 %

0,0 %

Portugal

16,0 %

80,0 %

0,0 %

4,0 %

Rumänien

45,7 %

41,3 %

13,0 %

0,0 %

Schweden

12,1 %

15,2 %

72,7 %

0,0 %

Slowakei

41,4 %

37,9 %

20,7 %

0,0 %

Slowenien

29,4 %

58,8 %

11,8 %

0,0 %

Spanien

11,5 %

50,0 %

21,2 %

17,3 %

Tschechien

0,0 %

54,2 %

41,7 %

4,2 %

Ungarn

23,1 %

61,5 %

15,4 %

0,0 %

Vereinigtes Königreich

9,1 %

9,1 %

81,8 %

0,0 %

Zypern

100,0 %

0,0 %

0,0 %

0,0 %

 

A Keine Meldung abgegeben.

B Keine Berichtspflicht, da erst seit Juli 2013 EU-Mitgliedsstaat.

Die, bis auf wenige Ausnahmen, in ungünstige Erhaltungszustände gebrachten Waldhabitate wirken sich auch direkt auf zahlreiche waldgebundene Arten aus: von Waldvögeln wie Auerhuhn und Haselhuhn, über unsere heimischen Carnivoren wie Luchs und Wildkatze, die waldbewohnenden Fledermausarten oder zahlreiche Moose bis hin zu Insekten, die auf Höhlenbäume, Tot- und Altholz oder eine bestimmte Waldstruktur angewiesen sind. Die Populationen werden immer kleiner und sind inzwischen in vielen, ehemals besiedelten Wäldern ausgerottet worden.

 

Auch wenn die Forstindustrie gebetsmühlenartig streut, dass die Bewirtschaftung der Wälder nachhaltig erfolge: Die wissenschaftlichen Fakten zeigen, dass unsere Wälder und ihre Bewohner in aller Regel sehr weit von einem günstigen Erhaltungszustand entfernt sind und eine Nachhaltigkeit im Sinne internationaler Bewertungen daher nicht gegeben ist.

Quellen

[1] Greenpeace (2015): Illegal logging in Romania 2013-2014, October 2015, 12 pp. [EN].

[2] Deutsche Welle (2015): Video „Rumänien: Kahlschlag in den Karpaten“, Juli 2015 [DE und EN].

[3] FHP (2011): Rohstoff- und Energiesicherung in Österreich, September 2011, 6 S. [DE].

[4] Siehe beispielsweise § 1 Abs. 3 des österreichischen Forstgesetzes.

[5] EU-Kommission (2015): Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Zustand der Natur in der Europäischen Union, COM(2015) 219 final, 20. Mai 2015, 21 S. [DE und EN].

Weiterführende Informationen


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